Wer den Vortrag letzten Samstag verpasst hat, kann ihn hier anhören:
Mitschnitt eines Vortrags in Nürnbergvom 20.06.2015
Ohne Bilder und Musik, dafür mit Mikrofonaussetzern.
Als im New Yorker Frühpunk erstmals unkommentiert Hakenkreuze und
NS-Zeichen auftauchten, war dies vor allem eine innerjüdische
Angelegenheit: Jüdische Punks wie die Dictators benutzten sie, um sich
mit der eigenen sekundären Traumatisierung als Nachgeborene der
Überlebenden auseinanderzusetzen.
Als Punk dann wenig später nach Deutschland kam, wurde das
provokante Spiel mit dem NS dankbar aufgegriffen. Plötzlich redeten die
Kinder und Enkel der Täter_innen in einer verstörend neuen Weise über
die Shoa, die Daniel Jonah Goldhagens »Hitlers Willing Executioners«
vorwegnahm: Songs wie »Party in der Gaskammer« oder »Die lustigen
Stiefel (marschieren über Polen)« und Gruppen wie Vadder Goebbels und
die Nazi-Schlümpfe erzählten von der Shoa erstmals in der
Wir-Perspektive und dekonstruierten damit die deutsche
Vergangenheitsbewältigung.
Dieses scheinaffirmative Spiel war wiederum eine innerdeutsche
Angelegenheit: eine Abrechnung mit den eigenen (Groß-)Eltern, deren
Lebenslügen genüsslich demontiert wurden. Und doch standen die deutschen
Punks damit noch immer in deren Tradition, weil ihre aggressive
Wiederaneignung der deutschen Schuld die Auslöschung der europäischen
Jüdinnen und Juden auf einer symbolischen Ebene wiederholte. Wie sich
Textzeilen wie »Im KZ war’s doch so nett, nett, nett« wohl in den Ohren
der Überlebenden anhören mochten, darauf scheinen sie jedenfalls keinen
Gedanken verschwendet zu haben.
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Frank Apunkt Schneider ist unfreier Künstler, Autor und
selbsternannter Poptheoretiker, Mitherausgeber der testcard und
Redakteur bei skug, außerdem der deutsche Außenposten der Kulturbewegung
monochrom. Bücher:
»Als die Welt noch unterging. Von Punk zu NDW«
(2007),
»Deutschpop halt’s Maul! Für eine Ästhetik der Verkrampfung«
(2015)